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„5 Sekunden vor 12“: SG Wattenscheid 09 droht baldiges Aus

Traditionsverein muss kurzfristig Sponsorengelder auftreiben.
Nein, in voller Blüte steht die Lohrheide schon seit vielen Jahren nicht mehr. Regelmäßig erlebte der ehemalige Bundesligist SG Wattenscheid 09 – nicht nur im Herbst – heftige Stürme und Turbulenzen, musste wegen der ständigen wirtschaftlichen Probleme mit dem „Existenzminimum“ in der Regionalliga West bestehen – und hielt sich doch über Wasser.

So ernst wie diesmal war die Lage allerdings wohl noch nie. Wenige Wochen nach seinem 110-jährigen Bestehen ist es äußerst ungewiss, ob der Traditionsverein aus dem Ruhrgebiet seinen 111. Geburtstag noch erleben wird. „Es ist nicht mehr fünf Minuten, sondern eher schon fünf Sekunden vor 12 Uhr“, formuliert die Bochumer Rechtsanwältin Dr. Anja Commandeur (52, Foto unten), die als Insolvenzverwalterin schon zahlreiche Unternehmen saniert hat, im Gespräch mit dem kicker und MSPW.

Die SGW, bei der am 1. Oktober das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, dürfte für die erfahrene Juristin zu ihren derzeit schwierigsten Fällen gehören. Vor allem der Faktor Zeit macht die Situation problematisch bis dramatisch. Der Grund: Erst auf den „letzten Drücker“ – als der Verein nach dem Rücktritt des vorherigen Aufsichtsrats-Vorsitzenden und Hauptgeldgebers Oguzhan Can schon mit zwei Monatsgehältern (Juli und August) für Spieler, Trainer und Angestellte im Rückstand war – hatte der verbliebene Aufsichtsrat um den Schalker Ex-Präsidenten Josef Schnusenberg den Insolvenzantrag beim Amtsgericht Bochum gestellt. Das heißt: Durch das Insolvenzgeld, das für drei Monate vom Arbeitsamt finanziert wird, war nur noch der September abgesichert. Ab sofort darf die Insolvenzverwalterin daher den Spiel- und Geschäftsbetrieb nur noch dann fortsetzen, wenn ausreichend Sponsorengelder oder zumindest entsprechende verbindliche Zusagen vorliegen.

Je nach sportlichem Erfolg beziffert Dr. Anja Commandeur, die im ersten Schritt des Insolvenzverfahrens ein Sachverständigen-Gutachten erstellt und dabei die Zahlungsunfähigkeit des Klubs sowie zumindest die Deckung der anfallenden Verfahrenskosten festgestellt hatte, den Finanzbedarf pro Monat auf ca. 70.000 bis 100.000 Euro. Da es kaum nennenswerte Einnahmen durch den Spielbetrieb gibt, wären also bis zum Saisonende mindestens 600.000 bis 700.000 Euro notwendig, um die Kosten zu decken. Nur wenn dieses Geld durch Sponsoren aufgebracht werden kann, lassen sich die kurzfristige Einstellung des Spielbetriebs sowie ordentliche Kündigungen und Freistellungen für sämtliche Arbeitnehmer noch verhindern. Nicht mehr involviert ist dabei der zwischenzeitliche Sportliche Leiter Peter Neururer, dessen Beratervertrag „nicht mehr bedient“ wird.

„Viele ehrenamtliche Mitarbeiter und Fans stecken so viel Herzblut und Engagement in den Verein, dass ich eine solche Entwicklung sehr bedauern würde“, sagt Commandeur: „Auch das Team gibt trotz der misslichen Lage alles und hat es verdient, unterstützt zu werden.“

Nach einer ersten Sponsorenveranstaltung, bei der die Insolvenzverwalterin ihr Konzept eines Insolvenzplanverfahrens vorgestellt hatte (das aber nur bei einer langfristig gesicherten Finanzierung zum Tragen kommen kann), hielten sich die Zusagen in engen Grenzen. Ein zweites Treffen in dieser Woche war fast schon der letzte Versuch, um zumindest für die nächsten ein bis zwei Monate ausreichend finanzielle Mittel zu generieren. Der erhoffte Durchbruch blieb erneut aus, einige Gespräche stehen aber in den nächsten Tagen noch an. Klar ist: Die ab sofort von einer Fleischerei kostenlos an die SGW gelieferte Stadionwurst ist zwar ein beachtliches und auch öffentlichkeitswirksames Signal. Zur Rettung des Klubs reicht es aber bei weitem nicht aus.

Lange warten kann Dr. Anja Commandeur nicht mehr. „Wir benötigen kurzfristig Klarheit“, sagt sie. In einer inzwischen vom Verein veröffentlichten offiziellen Erklärung ist von zehn Tagen die Rede. Sonst sei es unvermeidlich, wegen fehlender Liquidität die sogenannte „Masseunzulänglichkeit“ anzuzeigen und – als logische Folge – die erste Mannschaft zurückzuziehen. In diesem Fall würden sämtliche Spiele der Wattenscheider aus der Wertung genommen und der Verein stünde als erster Absteiger aus der Regionalliga fest. Nimmt die SGW dagegen weiter am Spielbetrieb teil, dann müsste „nur“ der Abzug von neun Punkten durch den Westdeutschen Fußballverband (WDFV) verkraftet werden. Der Kampf um den Klassenverbleib wäre auch dann eine „Herkulesaufgabe“ für Trainer Farat Toku und sein Team, aber zumindest nicht hoffnungslos.

Sicher ist: Sponsorengelder, die jetzt zugesagt werden, fließen ausschließlich in den laufenden Spielbetrieb und nicht in die Insolvenzmasse, aus der die Gläubiger bedient werden. Die Verbindlichkeiten werden in etwa auf 1,0 bis 1,5 Millionen Euro geschätzt. Über die Insolvenzquote werden die Gläubiger davon aber nur ein Bruchteil zurückbekommen. Wenn überhaupt. Die Gläubigerversammlung wird Anfang Dezember stattfinden.

Foto-Quelle (Dr. Anja Commandeur): Kanzlei Görg

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