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Wattenscheids langjähriger Trainer Farat Toku: „War oft Einzelkämpfer“

39-Jähriger spricht exklusiv über seine Zeit beim Traditionsverein.
Noch zu Zeiten von Mäzen und „Boss“ Klaus Steilmann kickte Farat Toku (auf dem Foto links) selbst für die SG Wattenscheid 09. Als Trainer hielt der inzwischen 39-Jährige den Traditionsklub trotz erheblicher Turbulenzen fast fünf Jahre in der Regionalliga West – bis zur Abmeldung vom Spielbetrieb im Oktober. Im exklusiven Interview mit dem Fachmagazin kicker und MSPW-Redaktionsleiter Ralf Debat (rechts) zieht Toku Bilanz.

Seit vier Wochen können Sie die Regionalliga West nur noch aus der Ferne verfolgen. Wie sehr schmerzt das, Herr Toku?

Als die Nachricht kam, tat es schon sehr weh. Auch wenn wir nach den Entwicklungen der letzten Monate damit rechnen mussten. In den fünf Jahren meiner Tätigkeit stand die Zukunft des Klubs oft aus wirtschaftlichen Gründen auf der Kippe. Immer wieder haben wir es jedoch geschafft, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Von daher war es nicht ganz neu. Mein erster Gedanke war auf jeden Fall: Was wird jetzt aus den Jungs?

Mindestens bis zur Winterpause sind alle arbeitslos. Wie haben Sie reagiert?

Unmittelbar nach der Freistellung haben wir noch ein paarmal zusammen trainiert. Ich hätte das auch individuell weiter angeboten. Es ist jedoch für die Jungs besser, sich bei anderen Klubs im Mannschaftstraining fithalten zu können. Inzwischen sind fast alle bei Vereinen untergekommen, einigen konnte ich dabei auch behilflich sein. Ich hoffe, dass sie in der Winterpause auch Verträge bekommen, denn das haben sie einfach verdient. Welche Qualität und Charakterstärke sie mitbringen, haben sie in Wattenscheid bewiesen.

Sind Sie selbst danach in ein Loch gefallen?

Nein, das nicht. Irgendwie bin ich ja noch mitten in der laufenden Saison. Klar, nach dieser intensiven und schwierigen Zeit in Wattenscheid, die auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen ist, konnte ich in den letzten Wochen die ganze Sache verarbeiten und die Bilder im Kopf einordnen. Auch wenn es irgendwie absehbar war: Ich finde es sehr schade, dass wir die Saison nicht zu Ende spielen konnten.

Es wäre aber doch auch sportlich durch den Neun-Punkte-Abzug schwierig geworden, oder?

Gerade der Punktabzug nach dem Insolvenzantrag war für uns alle noch einmal eine besondere Motivation, um trotz aller Widrigkeiten und Hürden erst recht erneut den Klassenverbleib zu schaffen. Wir waren auch auf einem richtig guten Weg. Es wäre zweifellos eng geworden. Aber diese Mannschaft hatte das Zeug, um auch bei neun Punkten Abzug fünf Teams hinter sich zu lassen. Davon bin ich überzeugt. Leider haben wir nicht die Möglichkeit bekommen, das zu beweisen.

Ist denn in diesem Fall – zumindest für den Verein – nicht ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende?

Für die Spieler und mich wäre es selbstverständlich besser gewesen, es wäre zum Saisonende oder wenigstens erst im Winter ein sauberer Schlussstrich gezogen worden. Dann hätten sich alle rechtzeitig neu orientieren können. Ob es für den Klub die beste Lösung ist, wird sich zeigen. Ich bin selbst gespannt, wie und in welcher Spielklasse es weitergeht. Eines kann ich Ihnen aber versichern: Ich werde dabei keine Rolle mehr spielen.

Auch wenn Ihnen diese Frage in den letzten Jahren schon oft gestellt wurde: Warum haben Sie sich die teilweise chaotischen Zustände überhaupt so lange angetan?

Es gab in der Tat jede Menge schwieriger Situationen, nicht nur finanzieller Art. Zeitweise standen wir sogar ohne Vorstand und Aufsichtsrat da. Das war schon heftig. Da war ich oft auch Einzelkämpfer, habe fast alles gemacht: Vom Scouting über Spielergespräche, Videoanalyse, Sportliche Leitung, psychologische Unterstützung bis zu Sponsorenterminen oder Behördengängen. Nur den Platz musste ich nicht abkreiden. Die Zusammenarbeit mit den Jungs aber war in all den Jahren überragend. Obwohl sich der Kader von Saison zu Saison immer wieder deutlich verändert hatte, konnte ich spüren, dass jeder Einzelne nach Wattenscheid gekommen war, um sich zu verbessern und sich weiter zu entwickeln, aber auch alles für den Verein und das Team zu geben. Die Entwicklung vieler Spieler beweist ja auch, dass die SGW für sie bestimmt nicht die schlechteste Station war.

An wen denken Sie besonders?

Da gibt es einige, an die niemand mehr geglaubt hat, als sie zu uns kamen. Das beste Beispiel ist Daniel Keita-Ruel, der jetzt bei der SpVgg Greuther Fürth in der 2. Bundesliga zu den Leistungsträgern gehört. Oder Christopher Braun, der bei OFI Kreta in der ersten Liga spielt. Oder Mael Corboz, der erst vor dieser Saison zu den Go Ahead Eagles Deventer nach Holland gewechselt war. Oder Joseph Boyamba und Haymenn Bah-Traoré von Borussia Dortmund II. Die Liste ließe sich noch beliebig verlängern. Allerdings muss man auch sagen, dass diese Spieler nur deshalb nach Wattenscheid gekommen sind, weil sie sonst niemand mehr auf dem Schirm hatte.

Warum hat es die SG Wattenscheid 09, die immer noch einen großen Namen hat, nie geschafft, sich auch wirtschaftlich zu stabilisieren?

Ich denke, der Verein hat es versäumt, außerhalb des sportlichen Bereichs professionelle Strukturen aufzubauen und sich breiter aufzustellen. Es wurde nie langfristig gedacht, im Marketing- oder Sponsoring-Bereich gab es kein geeignetes Konzept. Brach ein Sponsor weg, gab es keinen Ersatz. Man hat sich immer auf einzelne Funktionsträger verlassen, denen scheinbar oft gar nicht bewusst war, welche Auswirkungen ein solches Amt haben kann und welche Verantwortung sie damit übernehmen.

Dabei war vor knapp eineinhalb Jahren, als ein Hamburger Digital-Unternehmen einsteigen wollte, noch von der Bundesliga die Rede. Die Zusammenarbeit platzte. Im März sorgte der Amtsantritt von Peter Neururer als Sportdirektor für Aufsehen. Was ist schiefgelaufen?

Zum Kapitel Haalo kann ich nichts sagen, da ich bei den Gesprächen nicht dabei war. Peter hat sich dagegen aktiv eingebracht, war für mich eine riesige Unterstützung und hat mir viel abgenommen. Es war eine wertvolle Erfahrung, mit einem Profi zusammenzuarbeiten. Die Leistungen der Mannschaft haben auch gezeigt, dass wir keine so schlechte Arbeit abgeliefert haben. Und bei der Planung haben wir keinen Cent mehr ausgegeben, als uns zugesichert worden war. Leider hat man uns im Frühjahr nicht die Wahrheit gesagt.

Noch steht nicht fest, in welcher Spielklasse der Neuanfang gestartet werden soll. Wo wäre der Verein aus Ihrer Sicht denn gut aufgehoben?

Schwierige Frage. Es hängt davon ab, wie das Gerüst aufgebaut wird. Fakt ist: Die Infrastruktur wie etwa Stadion und Trainingsmöglichkeiten sind auch für höherklassigen Fußball nach wie vor gegeben. Es bringt aber nichts, wenn bei sportlichem Erfolg der Verein nicht mitwächst und die Basis fehlt. Die Möglichkeiten, die der Verein und sein Umfeld immer noch bieten, wurden in den letzten Jahren nicht ausgeschöpft. Warum auch immer.

Wie geht es für Sie persönlich weiter?

Ich nutze die Zeit, um mich weiterzubilden, um mich mit Trainerkollegen auszutauschen sowie Spiele von der 1. bis zur 4. Liga und in den Junioren-Bundesligen anzuschauen. Unter anderem werde ich bei Cracovia Krakau und Michal Probierz sowie Dunajska Streda und Peter Hyballa hospitieren. Ich möchte mich als Trainer immer weiterentwickeln und so viel wie möglich aufsaugen. Mein persönliches Ziel bleibt die Ausbildung zum Fußball-Lehrer. Ich freue mich schon jetzt darauf, etwas Neues zu beginnen.

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