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Willi Landgraf: „Ein kleiner Drecksack hilft jedem Team“

53-jähriger Ex-Profi über sein Dasein als Zweitliga-Rekordspieler.


Mit 508 Einsätzen (für Rot-Weiss Essen, den FC 08 Homburg, den FC Gütersloh und Alemannia Aachen) ist Wilfried „Willi“ Landgraf (53) „ewiger“ Rekordspieler der 2. Bundesliga. Seit mehr als 13 Jahren steht er als Nachwuchstrainer beim FC Schalke 04 unter Vertrag, aktuell als „Co“ bei der U 23 in der Regionalliga West. Dort hatte er einst auch seine aktive Laufbahn beendet. Im Interview für das Fachmagazin „kicker“ spricht Landgraf mit MSPW-Redaktionsleiter Ralf Debat.

Wann und von wem wurden Sie zuletzt Wilfried gerufen, Herr Landgraf?
Das ist noch gar nicht so lange her, wie Sie vielleicht denken. Von meiner Familie werde ich tatsächlich immer Wilfried genannt. Na ja, fast immer.

Im Fußball kennt Sie aber jeder nur als Willi. Bei jeder Ihrer Stationen waren Sie Publikumsliebling, wurden von den Fans gefeiert. Das langgezogene „Williiiii“ schallte durch jedes Stadion. Wie haben Sie das hinbekommen?
Ich war und bin immer authentisch geblieben. Dazu kam, dass meine Spielweise stets von Einsatz, Leidenschaft und hoher Intensität geprägt war. Dieser ehrliche Fußball kam gut an. Dazu habe ich mich voll mit dem jeweiligen Klub identifiziert. Die positiven Reaktionen der Fans haben mich dann auch noch zusätzlich gepusht.

Bei Ihren Vereinen war nicht immer nur Friede, Freude, Eierkuchen. Haben Sie sich dennoch stets Ihr sonniges Gemüt bewahrt?
Ganz ehrlich: Das war nicht immer leicht. Bei Rot-Weiss Essen gab es mal drei Monate gar kein Gehalt, das ist für die heutige Spielergeneration fast undenkbar. Zum Glück wohnte ich damals noch zu Hause bei meinen Eltern. In einer Saison hatten wir acht verschiedene Trainer. Auch in Homburg, Gütersloh und zuletzt in Aachen lief in der Tat nicht immer alles glatt: Die Zeiten waren oft geprägt von Abstiegskampf und finanziellen Problemen. Als Spieler war es jedoch wichtig, immer weiterzumachen.

Was würden Sie als den Höhepunkt Ihrer sportlichen Laufbahn bezeichnen?
Mit Alemannia Aachen im Finale des DFB-Pokals zu stehen und UEFA-Cup-Spiele bestreiten zu dürfen, war einmalig. Wir hatten am Tivoli ein geiles Team – mit Erik Meijer, Kalla Pflipsen, Stefan Blank oder Ivo Grlic. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Jungs auch nach ihrer aktiven Karriere dem Fußball erhalten geblieben sind.

Wie stolz sind Sie darauf, mit 508 Einsätzen nach wie vor Rekordspieler der 2. Bundesliga zu sein?
Schon sehr. Zum einen hatte ich Glück, so gut wie nie verletzt zu sein. Zum anderen war es auch nicht so, dass ich immer von Beginn an gesetzt war. Ich musste hart um meinen Platz kämpfen, hatte oft starke Konkurrenz. Spätestens am fünften oder sechsten Spieltag stand ich wieder in der Startelf. Ein kleiner Drecksack, der ich auf dem Platz war, hilft jedem Team.

Ist es überhaupt vorstellbar, dass diese Bestmarke jemals gebrochen wird?
Ich kann mir das zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer vorstellen. Das liegt aus meiner Sicht unter anderem daran, dass der Fußball immer schneller und intensiver wird, was zu mehr Verletzungen führt. Außerdem kommt es nicht mehr vor, dass ein Spieler 15 oder 16 Jahre in der 2. Bundesliga spielt. Entweder wird er durch starke Leistungen für die Bundesliga interessant oder kann das Niveau nicht so lange halten. Oder er steigt mit seinem Verein auf oder ab.

Für Sie hat es nie zu einem Einsatz in der Bundesliga gereicht. Ist das ein Makel?
Gute Frage. Zugegeben: Ich hätte schon gerne auch mal in der ersten Liga gespielt. Aber ich frage Sie: Wie viele Bundesligaprofis gibt es, die niemals im DFB-Pokalendspiel stehen? Wie viele spielen niemals international? Wie viele gibt es, deren Fußballschuhe und Trikot nicht im Deutschen Fußballmuseum ausgestellt sind? Ich denke, ich kann ganz zufrieden sein.

Zwischen 2007 und 2009 ließen Sie Ihre aktive Karriere als Routinier bei der U 23 des FC Schalke 04 ausklingen. Mal ehrlich: Hatten Sie damals noch auf Ihre Premiere in der höchsten deutschen Spielklasse im S04-Trikot gehofft?
Ich wurde damals von Helmut Schulte und Mike Büskens als Führungsspieler für die U 23 verpflichtet und sollte helfen, den Aufstieg in die Regionalliga West zu schaffen. Etwas anderes hatte ich nicht im Kopf.

Gab es in den zweieinhalb Jahren zumindest mal eine kleine Chance?
Tatsächlich habe ich zwischenzeitlich mal einen Profivertrag unterschrieben. Weil Schalke zu diesem Zeitpunkt keine elf deutschen Lizenzspieler hatte, bekam ich von Rudi Assauer und Andreas Müller einen Kontrakt vorgelegt. Als Mike Büskens im Saisonendspurt dann interimsweise Cheftrainer wurde, hätte es fast sogar wirklich mit einem Einsatz für mich geklappt. Weil es aber bis zum letzten Spieltag im Rennen um die Champions League-Plätze ganz knapp zuging, kam es nicht dazu. Aber wie gesagt: Ich kann gut damit leben.

Nach Ihrer Fußballerlaufbahn wurden Sie bei S04 direkt als Nachwuchstrainer angestellt. Wie kam es dazu?
Das war schon bei meiner Verpflichtung als Spieler mein Wunsch. Deshalb habe ich während meiner Zeit bei der U 23 meine Trainerscheine gemacht. Weil die Verantwortlichen um den damaligen Nachwuchs-Chef Uwe Scherr gesehen haben, dass ich ganz gut mit jungen Spielern umgehen kann, haben sich mich als Jugendtrainer eingebaut. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie würden Sie nach inzwischen 15 Jahren Ihre Beziehung zum Verein beschreiben?
Ich habe damals bei der U 13 angefangen. Der Klub hat mir die Chance gegeben, mich ohne Druck als Trainer entfalten zu können und meine Erfahrungen zu sammeln. Das erfüllt mich sehr, zumal die Nachwuchsarbeit auf Schalke einen hohen Stellenwert genießt. Deshalb kann ich mir auch gut vorstellen, bis zum Ende meiner Trainerlaufbahn für S04 zu arbeiten.

Bislang trainierten Sie ausschließlich Mannschaften bis zur U 16. Jetzt sind Sie Co-Trainer Ihres früheren Assistenten Jakob Fimpel bei der U 23. Wollten Sie ganz bewusst nie auf eine größere Trainerbühne?
Sicherlich gab es mal die Möglichkeit, beispielsweise in der Oberliga zu trainieren. Aber ich kenne das Geschäft durch und durch und kann meine Qualitäten ganz gut einschätzen. Meine Stärken liegen darin, jungen Spielern und auch Trainerkollegen etwas mitgeben zu können – sportlich, aber vor allem auch menschlich. Was die Zusammenarbeit mit Jakob angeht, ist es eine besondere Konstellation, weil wir die gleiche Sprache sprechen, die gleiche Philosophie vertreten und nach vielen Jahren der Zusammenarbeit auch privat befreundet sind. Bei einem anderen Cheftrainer wäre ich wahrscheinlich nicht Assistent geworden.

Im Gegensatz zu sämtlichen Co-Trainern verfügt Jakob Fimpel über keine eigene Profierfahrung. Wie gleicht sich das aus?
Zunächst einmal muss ich sagen, dass es Jakob damals beim VfR Aalen ohne seine hartnäckigen Knieprobleme vermutlich auch geschafft hätte, Profi zu werden. So aber hat er sich früh für eine Trainerlaufbahn entschieden und ein Studium absolviert. Dadurch bringt er sehr viel mit, um sich als Trainer durchzusetzen. Es gibt genügend Beispiele herausragender Trainer, die keine Profis waren. Und im Umkehrschluss wird auch längst nicht jeder Profi ein guter Trainer. Bei uns im Trainerteam funktioniert die Zusammenarbeit auf jeden Fall sehr gut. Wir haben mit Christian Wetklo einen früheren Torhüter, mit Tomasz Waldoch einen Innenverteidiger, mit mir einen Außenverteidiger, mit Jakob einen zentralen Mittelfeldspieler und mit Martin Max einen Torjäger. Mit unseren Kompetenzen decken wir alles ab.

In der abgelaufenen Saison gelang erst im Endspurt der Klassenverbleib. Mit welchen Erwartungen starten Sie in die neue Spielzeit?
Die U 23 hat die klare Aufgabe, Spieler für die Lizenzmannschaft auszubilden. Das ist sehr wichtig für den Verein. Wenn pro Saison einer den Sprung schafft, dann haben wir sehr viel richtig gemacht – unabhängig vom Tabellenplatz. Dennoch haben wir alle aus der letzten Saison gelernt und tun alles dafür, um nicht wieder in eine solche Situation zu geraten.

Ihr früherer Verein Rot-Weiss Essen ist in die 3. Liga aufgestiegen. Wie sehr bedauern Sie es, dass es nicht zu einer Rückkehr an die Hafenstraße kommt?
Ganz ehrlich? Gar nicht. Ein Verein wie RWE gehört nicht in die Regionalliga. Ich hoffe sehr, dass der Klub in der 3. Liga besteht und dann noch weitere Schritte nach oben macht. Das Gleiche wünsche ich Alemannia Aachen – obwohl ich mich auf unser Spiel am Tivoli freue.

Foto-Quelle: FC Schalke 04

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