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Nachlese zum Traber-Derby: Matratzen in der Box beruhigen Schampus

Vierter Sieg im „Blauen Band“ für Günter Herz – Sperre für Rudi Haller.


Wohl selten in der 128 Kapitel umfassenden Historie des 1895 erstmals ausgetragenen Deutschen Traber-Derbys entsprach das Resultat dem, was Fachleute und Laien nach den vor 14 Tagen über die Bühne gegangenen Vorläufen prognostiziert hatten: Die drei nach Strich und Faden überragenden Sieger dieser Qualifier fochten auf der Trabrennbahn in Berlin-Mariendorf das mit 265.639 Euro bestickte „Blaue Band“, das mit Abstand wertvollste Trabrennen der Bundesrepublik, unter sich aus. Der Rest entpuppte sich – ebenfalls wie erwartet – als exquisite Staffage, die allerdings in kleinem Umfang das Zünglein an der Waage spielen sollte.

Ein Langweiler also? Mitnichten! Schon die Startphase verlief anders als von praktisch allen erwartet. Nichts wurde es aus einem rassigen Dreikampf um die Spitze zwischen den drei bei 26:10, 27:10 und 28:10 praktisch gleichauf in der Gunst der Wetter stehenden Favoriten, die für ihre Raketenstarts bekannt und gefürchtet waren. Y Not Diamant mit Robin Bakker („Mister Derby“) zog sich von Rampe „2“ halbseiden zurück, der spätere Sieger Josef Franzl (Foto) begnügte sich mit seinem Schampus an der „1“ mit dem sofortigen Platz im Windschatten Gio Cashs, für den dessen Trainer und Fahrer Dion Tesselaar keinen Zweifel gelassen hatte, unbedingt in Front zu wollen. Ein Kampf fand gar nicht statt.

Ohne die geringste Widerrede flitzte der im Berliner Mitbesitz stehende, als Rappe verkleidete „Goldesel“, der bereits 338.260 Euro gescheffelt hatte, nach vorn und zog dort seine zügige Runde. Schampus dahinter vor Perfecto, mit dem Vorjahrssieger und Lokalmatador Thorsten Tietz goldrichtig spekuliert hatte und nun gemütlich der Dinge harren konnte, die fortan kommen sollten. Kniffliger war die Lage für Y Not Diamant, der derart behäbig in die Hufe kam, das er nur im dritten Paar außen lag und damit weit weg von der vorderen Musik, die seine schärfsten Rivalen Gio Cash und Schampus anstimmten.

600 Meter vor dem Ziel machte sich Bakker mit seinem Diamanten auf die Strümpfe, doch war der Weg nach vorn beträchtlich. Der vom achtmaligen Derby-Siegtrainer Paul Hagoort vorbereitete Wallach flog nur so über den Sand, hatte Gio Cash 250 Meter vor dem Ziel am Wickel und das bessere Momentum für sich – aus der Traum vom Sieg für Gio Cash. Bakker hatte seinen siebten Triumph im Deutschen Derby dicht vor Augen – bis Schampus lossprudelte und ihm unter dem Jubelsturm der Kulisse den ersten Rang um eine halbe Länge sicher ablief.

In der Zwei-Klassen-Gesellschaft war der sich prächtig als äußerer Anführer verkaufende Yahoo Diamant die „Nummer eins vom Rest“ vor See the Moon und Uccellone. Dessen Steuermann Rudolf Haller hatte allerdings 500 Meter vorm Ziel für die einzige unschöne Szene des sonst störungsfrei ablaufenden Klassikers gesorgt, als er den Hengst nach außen dirigierte und dabei Sir Express gewaltig in die Quere kam. Nur mit Mühe, Geschick und Glück vermochte Robbin Bot einen Sturz seines Rappen zu verhindern. Die Aktion Hallers – ausgerechnet jenes Mannes, der die Präsentation der Derby-Piloten mit den Worten beschlossen hatte, es möge einen fairen Verlauf geben und der Beste gewinnen – zog die Disqualifikation Uccellones und 1.500 Euro Geldbuße sowie ein 14-tägiges Fahrverbot für den Bayern nach sich.

War Schampus in der neuen Derby-Rekordzeit von 1:11,4 Minuten für den durchschnittlichen Kilometer über die Piste gesprudelt, so ließen er und sein Patron mit der Siegerehrung ein erkleckliches Stück auf sich warten. Küsschen hier, Shakehands dort, Umarmungen ohne Ende, es dauerte fünf Minuten, bis sie endlich im nobelsten Winner Circle der Republik angekommen waren und sich feiern lassen konnten. Für Franzl Genugtuung pur, denn nach seinem ersten Sieg mt Dream Magic BE im deutschen Skandal-Derby 2012, das er am Grünen Tisch gewonnen hatte, hatten sich auch Pfiffe unter den damals spärlichen Beifall gemischt. Diesmal paradierten Franzl und sein Team im grenzenlosen Jubel.

34 Jahre nach Grimaldi ging das Blaue Band erstmals wieder – nach Gesells und Lord Pits Triumphen 1966 und 1967 zum vierten Mal insgesamt – ans noble, an einem „Lachsbach“ gelegene norddeutsche Gestüt Lasbek, das seit 1965 von Tchibo-Erbe Günter Herz geführt wird. Der hat mit der Verpflichtung des bald 1.400 Siege schweren Bayern Josef Franzl als Gestütstrainer vor vier Jahren einen goldenen Griff getan.

Den vielen skurrilen Geschichten rund um das „Blaue Band“ fügten die 2023er Derby-Sieger eine neue hinzu: Nach dem Bad in der Menge gab’s, nachdem Schampus zur unvermeidlichen Dopingprobe abkommandiert war, für Franzl ein Bad im heuer gut gefüllten Mariendorfer Teich. Eine Welle, die schon Besitzer Andreas Schwarz nach dem Triumph seines Tsunami Diamant 2017 exerziert hatte. Das war noch nicht alles fürs Kuriositäten-Kabinett: Hatte Hänschen Frömming 1933 seinen Hengst Xifra mit Seidenstrümpfen ausstaffiert, um die Fesselbeuge des an dieser Stelle sehr empfindlichen Hengstes zu schützen, so trugen zu Schampus‘ Triumph Matratzen ihren Teil bei. „Nach längeren Reisen (und dazu gehörten die rund 300 Kilometer von Lasbek nach Berlin) war Schampus extrem unleidlich – zu mir, seiner Pflegerin, die er sonst über alles liebt, vor allem zu sich selbst, donnerte und krachte gegen die Boxenwände, dass uns angst und bange wurde. Seiner Psyche tat das gar nicht gut. Ich hatte immer den Eindruck, dass er dabei zu viel Kraft verpulvert“, plauderte „Bademeister“ Franzl aus dem Boxen-Kästchen.

Des Rätsels halbe Lösung: Seine Boxe wird mit Matratzen „tapeziert“, um die Verletzungsgefahr zu bannen. „Die komplette Lösung war, dass wir ihn unmittelbar nach dem Transport nur kurz in die Boxe entließen, dann anspannten und ihn sechs, sieben Kilometer locker joggen ließen. Danach war er friedlich wie ein Lamm, legte sich hin und schlief tief und fest. Den Kniff haben wir vor dem Vorlauf ausgetüftelt, und er gefiel mir gut wie nie zuvor.“ Für die Statistiker war’s der beim zehnten Auftritt der siebente Erfolg des gezähmten Widerspenstigen, der für die geschichtsträchtige Arbeit 124.820 Euro gutgeschrieben bekommt – macht nun 188.514 Euro für Lasbeks Kasse.

Trostpflaster geht an die Bots

Den mit 20.000 Euro dotierten Derby-Trostlauf, den nach Streichung von Lagerfeld Mo nur sieben Aspiranten in Angriff nahmen, klinkte sich der Vorlauf-Fünfte Duncan Laurence mit dem in Überform fahrenden Robbin Bot (Willich) aus der Frontlage gegen Mac Idzarda und Cash to Thelimit S ein. Dem Propulsion-Sohn wurde das umso einfacher gemacht, weil Smart Hill As nach einem schweren Startfehler keine Rolle mehr spielte und sich der Berliner Black Mountain in der Außenspur müde lief. Da konnte die Regie Robbins Siegersong „Jerusalema“ gleich wieder aus der Warteschleife holen.

Jugend-Preis: Valnes Phenix und Flower in 1:17,1

Der als Neuerung nach Geschlechtern geteilte Jugend-Preis um jeweils 15.000 Euro für die Zweijährigen ging bei den Herren an Valnes Phenix. Jaap van Rijn versteckte den in Schweden geborenen Hengst der Gerrits Recycling Group nach dem Motto: „Wenn Zwei sich streiten, freut sich der Dritte.“ Die Zwei waren Bellucci Rosso aus dem Quartier von Paul Hagoort, der zügig nach vorn düste, und Otis Dream, mit dem Dion Tesselaar nach einer Runde die Außenspur bevölkerte und Bellucci Rosso Mitte der Zielgeraden eine Galoppade abrang. Aus geschonter Lage entpuppte sich der Phoenix als eiskalter Abstauber.

In der Division der 2021 zur Welt gekommenen Stuten gingen Blumen samt 7.500 Euro dank Flower und Christoph Schwarz ans Team Neuhof nach Österreich. Eine Runde lang wurde die Prüfung von den beiden Tesselaar-Schützlingen Oreal Boko und Olivia Hazelaar bestimmt. Dann dirigierte Formfahrer Schwarz die in Italien geborene Flower nach außen, wo sie wie ein erwachsenes Rennpferd grandios durchzog, die beiden Niederländerinnen rechts liegen und den Schlussangriff ihres steten Schattens La Vita ins Leere laufen ließ. Mit 1:17,1 schlug die Muscle-Mass-Tochter in der gleichen Zeit wie Valnes Phenix an.

Ein „Drache“ auf der Rekordmeile

Einen unerwarteten Ausgang nahm die Rekordmeile für die Internationalen, denn keiner der drei aktuellen oder einstigen Mariendorfer Bahnrekordler landete ganz vorn: Der amtierende Rekordhalter Chimichurri, mit der „2“ ideal bedient, sprang beim Versuch, an Exclusive Fire vorbei in Front zu kommen. Der alte Haudegen Halva von Haithabu traf es beim ersten Versuch in diesem Jahr zu anspruchsvoll an, und Major Ass lief sich auf zu weiten Wegen die Lunge aus dem Hals. So sprach vieles für den aktuellen Charlie-Mills-Sieger Bayard, mit dem sich Robbin Bot mehr als einen Kilometer im Windschatten des ein schneidiges Tempo vorlegenden Exclusive Fire verstecken konnte.

500 Meter vor dem Ziel beorderte er den Ready-Cash-Sohn in die Freiheit, bekam an der letzten Ecke den sich verbissen wehrenden Exclusive Fire allmählich in den Griff – und stand doch auf verlorenem Posten gegen die mit furiosem Speed aus dem Hintertreffen heranwirbelnden Jason Dragon und Blind Date. Der noch vor 14 Tagen im Mills-Memorial ganz blass gebliebene „Drache“ bekam bei Tausendsassa Jaap van Rijn regelrecht Flügel und bescherte Trainer Erwin Bot und den Gebrüdern Gerrits nach 1:11,5 Sieg Numero vier an diesem Sonntag. Alles passte für Blind Date. Die einzige Stute im Feld, nach Gewinnen die Kirchenmaus, unterstrich mit krachendem Endspurt zu Rang zwei, zu welchen Großtaten sie fähig ist.

Die Kleinste revanchiert sich

Die Derby-Revanche zwischen Days of Thunder, dem Sieger im „großen“ Derby 2022, und Riet Hazelaar, die im Vorjahr das „Blaue Band“ der Stuten geholt hatte, fiel schon am Start ins Wasser, den Days of Thunder nicht zum ersten Mal im Galopp vermasselte. Besser kam Riet in Gang, die ganz leicht in Front zog und Isla vorbeiließ, die Ende der Gegengeraden vom wuchtig attackierenden Oblivion rechts liegen gelassen wurde. Diese Drei sollten am Ende gar keine Rolle spielen, denn Grand Ready Cash, der Derby-Dritte, machte Oblivion rasch den Garaus.

Und dann kam plötzlich die „Mini-Traberin“ Sunset boulevard auf Touren. Die kleine Maharajah-Tochter mit dem großen Kämpferherz schien einen Schalter umzulegen und lieferte einen Endspurt vom Feinsten ab, dem auch Grand Ready Cash nicht gewachsen war. „Goldhelm“ Michael Nimczyk (Willich) zollte ihr großen Respekt: „Man kann sich stets darauf verlassen, dass sie alles gibt.““ Mit diesem ihrem sechsten Sieg zog sie in den Kreis der 100.00-Euro-Trotter ein: 111.356 Euro weist ihr Konto aus.

Das Rennen der Publikumslieblinge wurde eine Beute von Erwin Bots aus Schwedens heimgekehrtem Lozano, dem Bruder Robbin Bot aus dem Hintertreffen 600 Meter vorm Ziel die Sporen gab. Wie auf Schienen düste der Wallach weit außen an allen vorbei und hielt diesen Husarenritt bis ins Ziel durch, das er eine Länge vor der lange führenden Ann Boleyn erreichte.

Deutliche „Bremsspuren“ gab es an der Umsatzfront: Pro Rennen hatten im Vergleich zum Derby-Tag 2022, an dem durchschnittlich 50.074 Euro gedreht wurden, die Totokassen diesmal nur 43.554 Euro zu verarbeiten. Der Gesamtumsatz lag nach 14 Rennen bei 609.756 Euro. Davon wurden 282.084 Euro außerhalb der Rennbahn gewettet.

Foto-Quelle: Marius Schwarz/Trabrennverein Berlin-Mariendorf

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